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Ein akademisches Jahr an der University of Helsinki

Abschlussbericht - September 2005

Von Oliver Seemann ()

Dies ist der Abschlussbericht zu meinem 9-monatigen Aufenthalt an der University of Helsinki. Als Austauschstudent über das Erasmus-Programm verbringe ich dort von September 2004 bis Mai 2005 zwei Semester am Department of Computer Science.

Der Bericht gibt einen Überblick über meine Erfahrungen in Zusammenhang mit dem Austausch sowie interessante und wichtige Informationen für zukünftige potentielle Bewerber.

Anfahrt

Nach den Zusagen aus Berlin und Helsinki stand Mitte 2004 fest, dass ich das akademische Jahr 2004/2005 an der University of Helsinki verbringen werde. Man hat die Möglichkeit bei der Bewerbung an der Universität in Helsinki auch gleich einen Antrag auf einen Wohnheimplatz abzugeben. Das habe ich getan und mir wurde ein ca. 24m² 1-Zimmer-Apartment im Komplex "Vuolukiventie" für 350,- Euro monatlich zugewiesen. Eine schnelle Suche bei Google ergab einige Seiten mit Beschreibungen und dem Hinweis, dass dort kein Internetanschluss inklusive ist und auch eine Sauna fehlt. Das war nun erstmal enttäuschend und eine Nachfrage beim Housing Coordinator, ob man den zugewiesenen Wohnplatz wechseln kann, wurde negativ beantwortet. Die International Student Services bieten nur einmal einen Platz an. Wenn man den nicht möchte, muss man sich selbst um etwas kümmern. Glücklicherweise kam etwas später noch der Hinweis, dass zwar kein Internetanschluss dabei ist, man sich aber nachträglich einen von einem kommerziellen ISP besorgen kann. Für ca. 30 Euro pro Monat. Das war immerhin schon mal ein Lichtblick. Das Apartment sollte mit dem Wichtigsten möbliert sein, aber Bettdecke und -wäsche sowie sämtlicher anderer Hausrat war selbst mitzubringen bzw. vor Ort zu besorgen.

Die naheliegendste Anreisemethode ist eigentlich das Flugzeug, aber aufgrund des beschränkten Gepäcks kann man nicht alles mitnehmen was man in Helsinki brauchen wird und müsste dann viel vor Ort kaufen. Als Alternative hatte ich an die Anfahrt per PKW gedacht, bei der es drei mögliche Routen gibt: Mit der Fähre von Deutschland nach Finnland, mit dem Auto nach Schweden (über die Öresundbrücke) und dann per Fähre von Stockholm nach Finnland, oder mit dem Auto durch Polen und die baltischen Staaten nach Tallinn und von dort dann mit der Fähre nach Helsinki (sind nur 80km). Im Auto kann man halt einfach viel mehr mitnehmen und man ist auch vor Ort mobiler. Ich habe kein eigenes Auto, aber mein Vater hatte sich glücklicherweise dazu bereit erklärt mich hinzubringen (und kurz darauf wieder zurückzufahren).

Weil ich halt einfach zu viel mitzunehmen hatte, habe ich mich für die PKW Variante und gegen den Flug entschieden. Blieb noch die Auswahl der Route. Weil eine lange Autofahrt nach Stockholm oder Tallinn doch recht unbequem und anstrengend werden kann und zusätzlich einmal Übernachtungskosten hinzukommen entschied ich mich für die Direktfahrt von Deutschland nach Helsinki. Auch weil die Tickets gar nicht so teuer waren wie erwartet. Superfast Ferries fahren von Rostock nach Hanko (150km westlich von Helsinki) in ca. 21 Stunden und eine Fahrt kostet pro Person ca. 75Euro im Schlafsessel. In einer 4er Kabine war es etwas teurer. Fürs Auto kamen noch einmal ca. 100Euro dazu. Anfang August hatte ich dann die Reise gebucht und am Mittwoch, 1. September abends gegen 21.00 Uhr sollte es dann losgehen, sodass man am Donnerstagabend, 2. September in Hanko und kurz später in Helsinki ankommt. Die Uni in Helsinki hatte den 1. bis 5. September als Anreisezeitraum empfohlen, weil am 6. September die Orientierungswoche anfing, wo die neuen Austauschstudenten ausführlich auf Leben und Studieren in Helsinki vorbereitet wurden.

Des Weiteren konnte man auch einen "Pickup-Buddy" beantragen, jemanden der einen vom Flughafen bzw. Bahnhof abholt und Schlüssel für die Wohnung sowie weitere wichtige Informationen überreicht. Alternativ kann man den Schlüssel vom Büro der International Student Services abholen; die haben aber nur tagsüber geöffnet. Da wir am späten Abend erst in Helsinki ankommen würden (die Superfast Ferries kommen immer nur abends an) hätten wir also einmal woanders übernachten müssen oder halt den Pickup-Buddy treffen. Weil wir aber mit dem Auto angekommen sind, war es nicht ganz so einfach einen Treffpunkt auszumachen (wie z.B. Bahnsteig oder Terminal/Gate am Flughafen). Hatte die Situation auf dem Antrag für den Pickup-Buddy beschrieben und vorgeschlagen dass wir untereinander den genauen Treffpunkt per Email ausmachen. Einige Wochen später und noch rechtzeitig vor Abfahrt hat sich dann mein Pickup-Buddy gemeldet und wir machten einen Treffpunkt am Abend um 21.30Uhr in der City aus, von wo aus wir dann nach "Vuolukiventie" fahren würden. Somit waren dann Anfahrt und Ankunft geklärt und es konnte losgehen.

Ankunft

Nachdem die Fähre nach ruhiger Überfahrt pünktlich in Hanko ankam hatten wir noch ungefähr 2,5 Stunden Zeit die ca. 120km nach Helsinki zu bewältigen sowie den Pickup-Buddy in der City zu treffen. So nach ungefähr einer halben Stunde Fahrt ist mir dann aber eingefallen, dass wir in einer anderen Zeitzone sind und die Uhren eine Stunde vorstellen müssen. Dann war plötzlich nur noch eine Stunde Zeit und wir mussten uns sputen rechtzeitig anzukommen und konnten keine Imbisspause mehr einlegen, wie geplant. Wir waren dann auch gegen 21.30Uhr in Helsinki, aber es stellte sich als nicht sehr einfach heraus dann an den verabredeten Treffpunkt zu gelangen. Die Schilder mit den Strassennamen sind nämlich nicht so gut lesbar an Pfosten an der Strassenecke platziert wie in Deutschland, sondern relativ klein an den Häuserwänden befestigt, sodass man Probleme hat sie zu erkennen und es hat dann einige Minuten gedauert bis wir unsere Position festgestellt und eine Route zum Treffpunkt gewählt hatten. Unglücklicherweise war der Pickup-Buddy etwas unter Zeitdruck, weil er ganze sieben Personen an diesem Tag "aufgepickt" hat und nach mir noch zum Flughafen fahren musste wo zwei Studenten aus Korea abgeholt werden wollten. Sieben Leute an einem Tag ist schon recht fleissig, aber die Buddys bekommen auch pro Person 50 Euro, sodass sich der Ehrgeiz erklären lässt. Wir hatten vorher Telefonnummern ausgetauscht und so war es kein Problem einen anderen Treffpunkt zu vereinbaren, um möglichst schnell nach Vuolukiventie zu gelangen. Nach ca. 20-30 Minuten Autofahrt vom Zentrum sind wir dann angekommen. Habe Schlüssel und Infomappe erhalten sowie einen Zettel von meinem Pickup-Buddy mit Dingen die ich möglichst schnell (am Freitag) erledigen sollte (ÖPNV Monatskarte, Bankkonto, Prepaid-Karte, etc-), bevor ich nächste Woche mit allen anderen Austauschstudenten in der Schlange stehe. Mein Pickup-Buddy hat dann am Freitagmorgen auch noch ein kurzes Treffen mit all seinen Pickups organisiert, wo er uns die wichtigsten Gebäude usw. gezeigt hat und wo/wie wir jetzt Travelticket, Bankkonto etc. erhalten. Insgesamt war alles gut organisiert von meinem Pickup-Buddy, ausser, dass wir etwas in Eile waren. Hatte dann am Freitag auch schon Bankkonto, Travelticket (Monatskarte), mich bei den Behörden gemeldet, alles was die meisten anderen erst während der Orientierungswoche ein paar Tage später mit ihrem Tutor gemacht haben.

Das Appartment in Vuolukiventie ist OK. Für 350 Euro hätte man mehr erwartet, aber für die Immobilienpreise in Helsinki ist das noch relativ günstig. Die Wohnung besteht aus einem Zimmer mit Kochecke und Bad. Alles zusammen ca. 24m². Die Küche hat ausreichend grossen Kühlschrank und einen Herd mit zwei Platten und Backofen. Im Bad ist eine Sitzbadewanne (mit Dusche), Waschbecken und Toilette. Die Fenster sind gross und gehen über die ganze Länge der Aussenwand, sodass immer genug Licht da ist, wenn denn die Sonne mal scheint. Zur Ausstattung des Zimmers gehören ein Bett, zwei Tische sowie zwei Stühle. Je nachdem was die Vormieter dagelassen haben finden sich noch weitere Einrichtungsgegenstände wie Wäscheständer oder Nachttisch. Strom und Wasser sind kostenlos und reichlich vorhanden.

Der ganze Komplex in Vuolukiventie besteht aus 12 Blöcken A-M (ohne J) mit jeweils 4 Stockwerken und 6 Appartements pro Stockwerk. Also insgesamt knapp 300 Wohnungen. Davon stehen einige leer, einige sind von Finnen bewohnt (nicht nur Studenten, auch mehrere ältere Leute wohnen dort) und der Grossteil ist von Austauschstudenten bezogen. Zum Komplex gehört ein grosser Gemeinschaftsraum, dessen Schlüssel man sich beim Dormitory Advisor abholen kann. Den Waschraum mit zwei grossen Waschmaschinen und einem Trockner kann man kostenlos benutzen, man muss sich nur die Maschinen im ausliegenden Kalender reservieren. Mehrere Saunen gibt es ebenfalls, davon war aber nur eine im Betrieb. Was die meiste Zeit auch ausgereicht hat, denn allzu viele konnten sich nicht für den regelmässigen Saunagang begeistern. Montags und Mittwoch abends war die Sauna für Männer geöffnet und dienstags sowie donnerstags für Frauen. An den restlichen Tagen war die Sauna reserviert für bestimmte Anwohner bzw. man kann selbst reservieren, irgendwie. Die Sauna ist zeitgesteuert und es passen ca. 8 Leute rein. Einen kalten Pool gibt es leider nicht, aber zwei Duschen und der Ausgang auf den Hinterhof ist nur eine Treppe hoch, sodass man sich auch bequem im Schnee niederlassen und abkühlen kann.

Die Zimmer haben einen Telefonanschluss und eines der Dinge die ich am ersten Tag in Helsinki gemacht habe ist einen Internetzugang bei dem lokalen Marktführer Elisa zu bestellen. Dauert leider 2-3 Wochen und so muss man in der Zwischenzeit mit dem Laptop zu Uni pendeln. Elisa bietet DSL Zugänge ab ca. 30Euro mit 512kbit up/down und für ein paar Euro mehr dann 1024/512 bis zu 4096/512. DSL-Modem gibt's meist kostenlos dazu, kostet aber sonst noch mal 40Euro extra. Der Internetanschluss dort ist viel besser und einfacher aus bei den gängigen deutschen Branchenriesen. Man bekommt die IP-Adresse einfach per DHCP zugewiesen, keinerlei Konfiguration oder PPP Kram notwendig.

Am Sonntag, am Ende des empfohlenen Ankunftszeitraums und einen Tag vor Beginn der Orientierungswoche wurde vom Dormitory Advisor eine Welcomeparty organisiert, wo alle neu angekommenen Studenten sich treffen und kennen lernen konnten. Weil man ja sonst relativ allein für sich wohnt (keine WGs, gemeinschaftliche Küche etc.) ist es ziemlich wichtig dort hinzugehen um Kontakte zu allen anderen zu knüpfen. Dabei ist es auch sehr nützlich wenn man bereits eine Handynummer hat. Für 10Euro gibt's Prepaid-Karten (anonym) und man hat sofort günstigen Zugang zum überall verfügbaren finnischen Mobilfunknetz. Die Nummer dann einfach mit allen neuen Freunden austauschen und man ist immer in Kontakt. Instant Messaging (ICQ, MSN, ...) ist ebenfalls sehr populär, aber nicht jeder hat PC/Internet daheim.

Von allen Austauschstudenten stellen die Deutschen den grössten Anteil. Gefolgt von Franzosen und Spaniern. Man kommt dann nicht so einfach Drumherum auch ab und zu deutsch zureden. Ansonsten sind Leute aus aller Welt vertreten, aus 25-30 Ländern schätze ich mal. Viele davon bleiben nur ein Semester, also von September bis Dezember, andere ein ganzes akademisches Jahr (September bis Mai). Einige haben auch ihren Aufenthalt verlängert, denn dreieinhalb Monate sind nicht wirklich viel und schnell vergangen.

Orientierungswoche

Am Montag den 6.September fing dann die Orientierungswoche an. Ca. 600 Neuankömmlinge versammelten sich in einem grossen Hörsaal und wurden ausführlich über die bevorstehende Zeit an der University of Helsinki informiert. Montag bis Mittwoch wurde von jeweils ca. 9-14 Uhr im Vorlesungs-Stil das meiste Wissenswerte erzählt. Dazu gehörten allgemeine Informationen über lokale Anmeldung bei der Meldestelle, Bankkonto, Versicherung, ÖPNV, Sprachkurse, des Weiteren Uni-spezifische Dinge wie Abschlüsse, Credit-system, Veranstaltungsarten, Benotung etc. sowie Unisport, Mensaessen und Healthcare. Dann wurden alle Studenten in Tutor-Gruppen eingeteilt, aufgeteilt nach Studienfach. Die Informatiker-Gruppe bestand aus ca. 15-20 Studenten, davon die meisten Austauschstudenten für ein oder zwei Semester, allerdings auch drei Degree-Students, die in Helsinki ein komplettes Studium machen. Unsere Tutorin hat uns dann erstmal den Kumpula-Campus gezeigt, wo die Faculty of Science ihre Institute hat. Im nagelneuen Informatikgebäude gab's dann eine weitere Einweisung für alle Studenten der Faculty of Science sowie auch extra für die Informatiker. Wichtig dabei war natürlich auch das Erhalten der Netzwerk-Accounts, einmal für die ganze Uni und einmal extra für die Informatiker.

Insgesamt war die Orientierungswoche hilfreich und gut organisiert. Man wurde umfassend über alles Wichtige informiert, die Tutorin war engagiert und bestand auch weit über die erste Woche hinaus Kontakt.

Uni-Alltag

Nach der Orientierungswoche fingen dann am 13. September die regulären Vorlesungen an. Das Herbstsemester in Finnland geht von Mitte September bis Mitte Dezember und das Frühlingssemester von Mitte Januar bis Mitte Mai. Während die Winterferien also relativ kurz sind, ist der ganze Sommer - Juni, Juli, August - frei.

Der Grossteil der Veranstaltungen ist auf Finnisch, aber es werden jedes Semester auch ungefähr 10-15 Vorlesungen und Seminare auf Englisch abgehalten. Die meisten davon aber in der "Laudatur" Kategorie. Die Veranstaltungen sind aufgeteilt nach Cum laude und Laudatur. Was man grob mit Haupt- und Grundstudium vergleichen kann. Die meisten englischsprachigen Kurse sind also relativ fortgeschrittenen, für die man bestimmtes Vorwissen benötigt. Forschungsschwerpunkt und Lehrangebot konzentrieren sich hauptsächlich auf folgende drei Themengebiete: Mobile Computing, Bioinformatics sowie Data Analysis (Classification, Pattern Recognition, Data Mining, etc.).

Eine Übersicht aller englischsprachigen Veranstaltungen (an allen Fakultäten) bekommt man gedruckt als Broschüre bei der Ankunft, bzw. kann man auch online einsehen. Die Registrierung erfolgt elektronisch über ein Webinterface im Uninetz. Dort kann man dann auch am Ende die eigenen Prüfungsergebnisse ablesen, sowie erhaltene Credits, usw. Je nach benötigtem Aufwand bringt eine Veranstaltung mehr oder weniger viel Credits. Eine einfache Vorlesung mit Klausur und evtl. Übungsaufgaben bringt normalerweise 2 Credits, wenn noch eine Projektarbeit dazukommt sind's 3 Credits. Veranstaltungen mit 4 oder mehr Credits brauchen dann noch mehr Arbeit, werden aber auch nicht so oft angeboten. Ein finnischer Credit entspricht ca. 40 Stunden Arbeit und wird mit 2 ECTS Credits aufgewogen. Angesichts dessen ist die Vorstellung des Auslandsamtes in Berlin von 30 ECTS (also 15 finnische Credits) pro Semester nicht sehr realistisch - es sei denn man belegt 6-7 Veranstaltungen und verbringt die ganze Woche in der Uni. Aber dann verpasst man den unterhaltsamen Rest des Austauschstudentenlebens, doch dazu später mehr.

Das Department of Computer Science ist im August 2004 ins neu gebaute Exactum auf dem Kumpula-Campus umgezogen. Dementsprechend ist die Ausstattung auf neuestem Stand und auch sehr umfangreich. Jeder Raum ist mit fest installiertem Beamer ausgestattet, sowie Workstation am Lehrertisch, sodass mitbringen eigener Laptops nicht notwendig ist. Es gibt ausreichend Rechnerräume, ausgestattet mit modernen Dell-Workstations (P4 2.8Ghz) mit Flatscreen und Dualboot (CS-Linux, Windows XP). Auch mehrere "Multimedia-Rechner" stehen bereit, mit Scanner, Cardreader und umfangreicher Softwareausstattung. Die Informatiker haben ihr eigenes Netzwerk (die meisten anderen Departments haben nutzen das globale Uni-Novell-Netzwerk). Die Festplattenquota ist mit 2GB grosszügig bemessen (20GB Limit) und die Druckerquota ist unbegrenzt. Das Exactum ist von ungefähr 8 Uhr bis 20 Uhr geöffnet. Es gibt einen 24h Computerraum, in den man über einen separaten Eingang mit Magnetkey reinkommt. Mit dem Key kommt man auch rund um die Uhr ins Aleksandria Learning Centre. Es ist im Zentrum gelegen und bietet auf 4 Etagen mehrere hundert Computerarbeitsplätze für alle Studenten der Universität, sowie Räume zum eigenständigen Arbeiten/Lernen.

Die Vorlesungen sind nicht anders als in Deutschland. Qualität schwankt je nach Dozent. Manchmal etwas einschläfernd, mal nicht so gut vorbereitet, manche aber auch sehr interessant. Sämtliche Folien sind normalerweise als PDF im Netz öffentlich zugänglich. Die Übungen zu den Vorlesungen sind etwas anders als man es aus Berlin gewohnt ist. Die wöchentlichen Übungsblätter werden oft nicht abgegeben/kontrolliert/bewertet, sondern jede Lösung wird von einem zufällig gewählten Studenten präsentiert, nachdem man vorher mitgeteilt hat, welche Aufgaben man den alle gelöst/bearbeitet hat. Am Ende muss man beispielsweise mindestens die Hälfte aller Aufgaben bearbeitet haben um den Kurs zu bestehen. Oft gibt es auch Projektaufgaben, zusätzlich zu den Übungen. Dabei müssen dann, allein oder in der Gruppe, vorgegebene Projektaufgaben abgearbeitet werden, was oft einen extra Credit einbringt (also ungefähr eine Woche Arbeit benötigt). Aber das wohl angenehmste am finnischen Prüfungssystem sind die Klausuren. Die sind wesentlich lockerer als in Deutschland. Man kann ungefähr so oft schreiben wie man möchte (keine Exmatrikulation nach zwei Fehlversuchen wie in Berlin) und hat auch mehr als ausreichend Zeit die Aufgaben zu lösen. Standardzeit für alle Klausuren ist 4 Stunden. Meistens braucht man soviel aber nicht. Für die beiden Informatik-Klausuren die ich im Dezember geschrieben habe benötigte ich ungefähr 2h und 1,5h um alle Fragen zu beantworten. Des Weiteren sind sog. "Take Home Exams" populär. Da wird keine reguläre Klausur geschrieben, sondern jeder Student hat mehrere Tage/Wochen Zeit vorgegebene Aufgaben individuell zu lösen. Ungefähr so wie ein Übungsblatt, nur schwieriger. Klausurergebnisse werden öffentlich (mit Name/Note) ausgehangen und die Gesamtnoten aller eigenen Kurse sind auch online im zentralen Informationssystem (WebOodi) abzulesen.

ESN

Ausserhalb der Uni kümmert sich das Erasmus Student Network (ESN) umfassend um die Austauschstudenten. Das ESN ist eine europaweite Studentenorganisation und im Allgemeinen dafür da, das Austausch-Studenten-Leben problemlos und angenehm zu gestalten. Das ESN in Helsinki ist gut organisiert und bietet vielfältige Möglichkeiten die unterschiedlichsten Sachen zu unternehmen. Jeden Donnerstag ist ESN-Party in einer Bar im Zentrum und auch sonst gibt es fast wöchentlich Events wie Saunaabende, Dinners, Filmabende, usw. Regelmässig werden auch Reisen vom ESN oder mit Unterstützung des ESN organisiert. Nach Stockholm, nach St. Petersburg, nach Moskau, nach Lappland. Es gibt das Buddy-Project, wo mehr oder minder zufällig freiwillige Finnen und Austauschstudenten zusammengewürfelt werden um als "Buddy-Group" Dinge gemeinsam zu unternehmen. Sehr nützlich sind auch die Mailinglisten für Austauschstudenten, die vom ESN unterhalten werden. Dort bekommt man immer die neuesten Informationen zu sämtlichen Events und kann auch einfach andere Studenten erreichen, wenn man Informationen benötigt oder loswerden möchte.

Ohne das ESN wäre das Leben in Helsinki als Austauschstudent nur halb so interessant. Oft hat man aber nicht einmal die Zeit alle interessanten Veranstaltungen mitzumachen. Man will ja auch ein wenig studieren ... oder muss. Zumindest manche.

Helsinki und Finnland im Allgemeinen

Wenn man aus Berlin kommt, ist Helsinki doch eher recht übersichtlich. Zumindest das Stadtzentrum im Süden mit den meisten Sehenswürdigkeiten lässt sich an einem Nachmittag bequem ablaufen. Der Grossteil der Menschen wohnt relativ verstreut im Umkreis von etlichen Kilometern. Das Erscheinungsbild der Stadt ist recht freundlich, gepflegt. Kein Müll, kaum Graffiti. Die Architektur ist ansonsten nicht sonderlich reizvoll, von einigen Ausnahmen abgesehen. Die traditionellen, malerischen finnischen Holzhäuser findet man nur in der Altstadt (die aber sonst eigentlich keine weiteren touristischen Anziehungspunkte hat) oder weiter ausserhalb.

Wenn man denn im Zentrum wohnt und dort auch studiert (die Fakultäten sämtlicher Geisteswissenschaften sind im Zentrum) erreicht man alles bequem zu Fuss und kommt weitgehend ohne Bus&Bahn aus. Wenn man etwas ausserhalb wohnt oder was Naturwissenschaftliches studiert (Physik/Chemie/Mathe 15min vom Zentrum entfernt, Biologie 30min) ist man auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen. Man bekommt die elektronische Travelcard, die man entweder mit Zeit (ein Monat ca. 40 Euro) oder mit Geldbeträgen aufladen kann (pro Fahrt 1-2 Euro). Damit authentifiziert man sich dann in Bus/Bahn an Lesegeräten und wird rechtzeitig gewarnt wenn der gebuchte Zeitraum abläuft. Helsinki hat ein kleines U-Bahn-Netz, das aber praktisch nur aus einer Linie besteht, die ins östliche Stadtzentrum führt (Itäkeskus). Im Zentrum und bis ungefähr 15Minuten vom Zentrum entfernt fahren auch Strassenbahnen.  Am weitesten kommt man aber mit dem Bus. Ein umfangreiches Busnetz bringt einen überall hin, Routen lassen sich bequem online planen. Dreh- und Angelpunkt für alle Verbindungen ist der Bahnhofsplatz im Zentrum, Rautatientori. Am Wochenende gibt es Nachtbusse, die aber nur ca. einmal pro Stunde fahren und 3 Euro extra kosten (2,50 wenn man bargeldlos mit der Travelcard bezahlt).

Den Nachtbus braucht man des Öfteren, denn in Finnland machen alle Lokale spätestens um 4 Uhr zu, manche aber auch schon um 3 Uhr oder gar um 2 Uhr. Das ist irgendwie gesetzlich vorgeschrieben. Generell ist der Alkoholkonsum in Finnland reguliert, Verkauf nur in staatlich kontrollierten "Alko" Shops. Kein Verkauf nach 20 Uhr, sondern dann nur in Bars etc., aber auch nur bis um 4 Uhr. Und weil dann alles schliesst, ist die Innenstadt zwischen 3 und 5 Uhr am Wochenende immer recht belebt. Wenn man mit dem Gedanken spielt ein Taxi zu nehmen, findet man sich schnell in Gesellschaft mit 50 (oder mehr) anderen Leuten am selben Taxistand. Da kann es schnell eine halbe oder ganze Stunde dauern, bis man einen Wagen ergattert hat. Auch ansonsten ist das mit dem Anstehen in der Stadt abends recht ungewöhnlich. Vor den meisten "populären" Clubs muss man meist damit rechnen eine halbe oder dreiviertel Stunde anstehen zu müssen um überhaupt rein zu kommen. Nicht immer weil es voll ist, sondern es kommt einem fast so vor, als ob es eine "Image" Sache wäre, je länger die Schlange, desto angesehener das Etablissement. Nunja .. glücklicherweise ist das in Berlin nicht so. Auch die Leute aus anderen Teilen in Deutschland waren derlei Warterei nicht gewohnt.

Die Preise in den finnischen Lokalen sind dann auch etwas teurer als in Deutschland. Ein Glas Bier kostet so 4-5 Euro, Alkopops ungefähr 5-6 Euro und Longdrinks/Cocktails 6-7 Euro. Die meisten Finnen bezahlen übrigens alles mit Karte. Das Bier im Club, der Kaffee im McDonald's .. sehr oft wird mit Unterschrift bezahlt.

Im finnischen Supermarkt ist glaube ich das Preisniveau auch etwas höher. Was wohl zum einen an der höheren Mehrwertsteuer von 22% liegt, zum anderen aber auch an der generell höheren Kaufkraft in Finnland. Dafür sind die Öffnungszeiten freier. Der durchschnittliche Supermarkt hat von 7-21 Uhr geöffnet. Samstags bis 18Uhr, sonntags geschlossen. Einige Ketten haben von 6-24 Uhr geöffnet, manche auch sonntags. Mehrere Filialen rund um den Bahnhof im Zentrum sind generell 7 Tage die Woche geöffnet, bis 22 Uhr oder länger.

Auswärts essen ist leider auch nicht sehr günstig in Helsinki. Wo man in Berlin eine Pizza schon für 3 Euro oder weniger bekommt, gibt's in Helsinki kaum was unter 6 Euro. In normalen Restaurants kosten die Mahlzeiten dann auch 13-15 Euro. Was man in Berlin auch schon fast für die Hälfte bekommt. Auch Kino ist teurer als in Deutschland. Mit ca. 8-10 Euro muss man schon rechnen, wenn man ins Kino gehen möchte. Wenn man allerdings Sport treiben möchte, dann ist das als Student äusserst günstig. Man bezahlt ca. 40 Euro für zwei Semester und kann dann ohne weitere Kosten sämtliche Sportstätten der Uni benutzen. Es gibt mehrere Fitnesscenter, Sporthallen die man buchen kann wenn man Fussball, Basketball, Floorball usw. spielen will. Es gibt zwei Squash-Plätze und mehrere für Badminton. In einem Sportzentrum gibt es auch eine Kletterwand. Des Weiteren werden regelmässig Aerobic/Tanz Kurse angeboten und vieles mehr. Und das alles für 40 Euro im Jahr. In den Sportzentren gibt es auch überall Saunas, sowie auch in den Schwimmhallen. Diese gehören aber nicht zur Uni sondern sind öffentlich und deswegen nicht kostenlos, aber als Student bekommt man immerhin einen reduzierten Eintrittspreis.

Die finnische Sprache ist kein Vergleich mit Schwedisch oder Norwegisch. Finnisch hat seine Wurzeln bei den Uralischen Sprachen und ist in Europa nur mit Estnisch und entfernt mit Ungarisch verwandt. Dementsprechend ist man auch ziemlich hilflos wenn man versucht die Bedeutung von einem finnischen Schriftzug ausfindig zu machen. Bei Schwedisch oder anderen germanischen Sprachen kann man mit seinen Deutsch- und Englischkenntnissen oft einiges erraten, bei Finnisch ist man da aber meistens verloren. Aber das ist bei der alltäglichen Kommunikation weniger ein Problem. Die meisten Leute, zumindest im Zentrum, verstehen und sprechen Englisch, an der Universität sowie jeder. Man kommt also ziemlich weit mit Englisch, weiter als in Deutschland denke ich. Es ist also nicht wirklich notwendig einen Sprachkurs zu belegen, wenn man nur für ein oder zwei Semester bleibt. Aber wenn man es machen möchte, was durchaus empfehlenswert ist, dann sollte man ziemlich motiviert sein und viel Zeit dafür veranschlagen. Die Vokabeln sind alle nicht sehr intuitiv und auch die ungefähr 15 Fälle machen das Lernen recht mühsam. Dennoch ist es möglich innerhalb weniger Monate halbwegs fliessend Finnisch zu sprechen ... genügend Fleiss und Praxis vorausgesetzt. Das mit der Praxis ist aber nicht immer ganz einfach, da die meiste Zeit die Austauschstudenten unter sich sind. Man lernt zwar einige Finnen kennen (insbesondere auf den ESN Veranstaltungen) und trifft sich ab und zu, um die Sprache zu üben ist das aber zu wenig, da muss man schon mit Finnen zusammen wohnen oder arbeiten, sprich mehrere Stunden pro Tag sehen (sprechen).

Wetter

Wenn man Finnland hört, denkt man ja zuerst an Massen von Schnee und eisige Kälte ... nunja, in Lappland mag das so sein. Aber im Süden direkt an der Ostseeküste ist das Klima eher mild. Weisse Weihnachten sind selten, im November und Dezember ist Regen wahrscheinlicher als Schnee. Richtig kalt wird es erst im Januar, Februar und teilweise März.

Ende Januar hat es angefangen richtig zu schneien, innerhalb weniger Tage auf 25-30cm und dann gab's bis Mitte März durchgängig -5 bis -20°C, bei grösstenteils strahlendem Sonnenschein. Und weil es erst um 9 Uhr hell wird und um 16 Uhr schon wieder dunkel ist, macht das vom Schnee reflektierte Strassenlicht die Stadt auch viel freundlicher als bei feucht-kaltem Regenwetter. Mitte März wurde es dann allmählich freundlicher, der Frühling wollte sich aber ungefähr erst Anfang Mai einstellen, so gab es im April noch teils heftige Schneeschauer. Wo Anfang Mai 2005 in Berlin schon ca. 30° erreicht wurden, waren es am 1.Mai in Helsinki noch frische 6° C. Da ich Ende Mai wieder zurück nach Deutschland bin, habe ich nur sehr wenig vom finnischen Sommer mitbekommen. Es ist also durchaus empfehlenswert, entweder vor dem Semester im August oder danach im Juni/Juli noch ein paar Wochen "Urlaub" in Finnland dranzuhängen.

Vappu

Am 1.Mai findet das grösste Fest Finnlands statt. Vappu! Hunderttausende Leute versammeln sich am 30.April in den Strassen um in den Mai zu feiern und am Morgen des 1. Mai ein grosses Picknick im Park zu veranstalten. Gefeiert wird alles ... der Frühling, der Tag der Arbeit und die Abiturienten feiern sich, erkennbar an den zig-tausenden Menschen mit weissen Mützen in Strassen und auf Plätzen. Vappu ist ungefähr vergleichbar mit Karneval wie man ihn aus manchen Teilen Deutschlands kennt. Es wird viel gefeiert, getrunken und getanzt, die ganze Stadt ist auf den Beinen. Als grösstes derartiges Fest in Finnland sollte man es als Austauschstudent nicht verpassen! Sondern vielleicht sogar noch ein paar Freunde einladen.

Abschied und Rückkehr

Nachdem Mitte Mai die letzten Klausuren geschrieben sind, laufen die Vorbereitungen für die Rückkehr nach Deutschland auf schon auf Hochtouren. Zeugnisse holen, Stempel hier, Unterschrift da, Internet-Anschluss abmelden, Konto auflösen etc. Und natürlich zahlreiche Abschiede. Fast jeden Tag geht irgendwer und ein Abschied reiht sich an den anderen. Das ist durchaus schon etwas gewöhnungsbedürftig. Leute die man in den letzten 8-9 Monaten fast jeden Tag, aber mindestens einmal pro Woche getroffen hat, sieht man dann wahrscheinlich zum letzten Mal. Natürlich ist es durchaus einfach weiterhin Kontakt zu halten. Aber jetzt im Rückblick (drei Monate nach Abreise) ist es schon erstaunlich wie sehr doch die Kommunikation abnimmt und "man sich aus den Augen verliert". Zu einigen Freunden behält man engeren Kontakt und man besucht sich evtl. gelegentlich. Aber alle zig Leute an einem Ort wird man nie wieder haben. Und das von der einen Woche auf die andere ist schon eine nicht ganz angenehme Umstellung. So war das zumindest meine Erfahrung, aber nach ein paar Wochen hat man sich wieder an das "normale" Leben gewöhnt.

Positiv überrascht war ich, wie reibungslos die Anerkennung meiner in Finnland abgelegten Kurse war. Einfach mit dem Zeugnis aus Finnland zur Dame vom Prüfungsausschuss und den Kursen ein Fachgebiet zugeordnet ... wurde ohne grosse Diskussion fast alles akzeptiert, auch Kurse ausserhalb der Informatik. So haben sich die beiden Semester also auch aus Sicht des Studiums sehr gelohnt.

Abschliessend kann ich sagen, dass die Zeit als Austauschstudent das Beste war, was mir seit langem passiert ist. Eine wirklich tolle Zeit ... zusammen mit Leuten aus aller Herren Ländern (ich kann jetzt in 14 Sprachen "Prost!" sagen), in einem (schnell nicht mehr so) fremden Land, eine andere Uni, anderes Studieren kennen lernen, viele Partys, Reisen in die Umgebung und Nachbarländer, ... eine Gelegenheit die man sich nicht entgehen lassen sollte und die Lust auf mehr macht.

Also auf nach Finnland!

Für jederlei Fragen über das Erasmus-Leben in Helsinki bin ich immer per Email unter zu erreichen.

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